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Der Hypochonder


Den Hypochonder habe ich im Internet kennengelernt. Ich saß mit meiner guten Freundin Ellyn in einem Café und wir haben uns aus lauter Langerweile Typen auf Tinder angeschaut. Das war damals noch total neu und sie hatte sich dort grad frisch angemeldet. Für mich war das im ersten Moment sehr befremdlich, wie auf einem Viehmarkt, angucken und überlegen, nehm ich, nehm ich nicht, gefällt mir, gefällt mir nicht. Was man sich da in kurzer Zeit für eine Menge von Gesichtern anschaut. Unglaublich! Manchmal hab ich mich richtig erschrocken, was mich da so anguckt! Am Ende und bis vergangenes Jahr fand ich Tinder dann doch irgendwie sehr unterhaltsam und es hat mich auch ein bisschen süchtig gemacht. Immerhin ergaben sich eine Menge interessanter Geschichten. 

Diese ganzen Dating Apps sind wirklich effektiv und vor allem produktiv, denn nachdem ich mich noch am selben Tag auf Tinder angemeldet hatte, gab es schon eine Woche später ein Date mit nem laufenden Meter, der sich hinterher als Kiffer rausgestellt hat. Ein komischer Kauz war das und nach zwei Wochen kam bereits der Hypochonder. 

Der Hypochonder war auf den Tinder Fotos durchaus attraktiv und auch als wir uns an einem Freitagabend getroffen haben, fand ich ihn recht ansehnlich. Nicht besonders groß aber irgendwie doch recht stattlich. Wir sind dann zu einem Griechen gelaufen, haben uns an einen Tisch gesetzt und Wein bestellt. 

Dann fing es an. Der Hypochonder war hin und weg, der hat mich angeschmachtet, dass mir das schon ganz unangenehm war. Die Leute haben schon geguckt. Fassungslos hat er mit dem Kopf geschüttelt, dass ICH wirklich mit IHM hier sitze, anscheinend war das unfassbar in seiner Welt.
Dann kam ein Geigenduo ins Restaurant. Das war wirklich sehr romantisch, für mich aber in dem Moment irgendwie ein bisschen to much. Ich habe den Hypochonder dann gefragt, ob er sich nicht neben mich setzen möchte, da er das Geigenduo ja im Rücken hatte und es so nicht sehen konnte. Also kam er rüber zu mir und ab da konnte er echt nicht mehr an sich halten. 
Sowas habe ich wirklich noch nie erlebt. Der hat meine Hände genommen, sie abgeküsst, wieder fassungslos mit dem Kopf geschüttelt und ihn in meinen Schoß gelegt, vor allen Leuten, kein Tisch im Restaurant war frei. Hat mich geküsst, wie in Trance und sich anschließend dafür entschuldigt. Ich glaube, vor lauter Euphorie hat er gar nicht gemerkt, dass er mich plötzlich geküsst hat. Der war irgendwie ferngesteuert. 
Ich habe das natürlich auch alles zugelassen, obwohl es irgendwie peinlich war. Die ganze Zeit habe ich mich gefragt, was genau ich mache, welche Signale ich sende, dass der schier am Durchdrehen ist. Und wieder habe ich mir vorgestellt, was das wohl für ein kurioses Bild mit uns beiden abgibt. Ein erwachsener Mann sitzt da fassungslos und kopfschüttelnd neben einer erwachsenen Frau, total in einem euphorisierten Trancezustand.
Das mit der Euphorie ist mir schon öfter passiert. Ich finde das schon bemerkenswert, dass ich das bei Männern auslöse. Leider hält das nur für ein paar Tage oder wenige Wochen an. Und dann merken die, dass ich auch nur ganz normal bin und sogar ein eher langweiliges, unspektakuläres bis spießiges Leben führe (was ich aber liebe).
Nun ja, nach dem Restaurant sind wir dann noch in eine Bar gelaufen. Draußen hat es angefangen zu schneien, sehr romantisch, immer wieder sind wir stehen geblieben und haben uns geküsst, unterm Regenschirm, bei klirrender Kälte, wie in so einem Schnulzenfilm. Im Restaurant vor allen Leuten war mir das irgendwie peinlich, aber jetzt so im Schnee unterm Schirm hat mir das echt gefallen und ich habe gehofft, dass das jetzt endlich mal ein Typ ist, der sich wirklich so richtig doll in mich verliebt hat. Ich fand ihn ja optisch auch schon sehr ansprechend und als wir auch feststellten, dass wir beide aus derselben Gegend kommen, zeitversetzt auch in der selben Schule waren und sogar dieselben Leute kannten, war ich schon auch in einer gewissen Euphorie.
Wir haben uns dann für den nächsten Tag verabredet, um gemeinsam nach alten Spuren zu suchen. Morgens war er elf Uhr auf die Minute vor meiner Haustüre, hatte sogar Kuchen gekauft - warum weiß ich nicht, wo und wann sollten wir den denn essen? - hielt mir die Türe seines Autos auf. Das hat mir schon alles sehr gefallen. Das Auto allerdings war irgendwie peinlich, voll eine Weiberkarre. Angeblich das Auto seiner Mutter, dass sie nicht mehr haben wollte. Verständlich, denn so eine Karre hätte ich auch nicht haben wollen. Wahrscheinlich war es ihm selbst auch peinlich.
Wir sind dann in unserer Gegend von Früher in ein Café gegangen und haben warmen Tee getrunken und da ließ er das erste Mal den Hypochonder raushängen. Ich glaube, er hat damals sogar gesagt, dass er einer ist. Das hätte ich schon für komisch empfinden müssen. Als er dann auch noch wusste, was ein Collon Irritabile ist, das ist ein Reizdarm, also Verdauungsbeschwerden - ich weiß gar nicht mehr, wie wir da drauf gekommen sind - hätte ich mir echt denken können, dass da so ein Leihen Arzt vor mir sitzt.
Wir haben uns anschließend sehr oft gesehen und das war auch wirklich schön. Ich war sogar auch ein bisschen verliebt. Das hielt allerdings nicht lange an, weil ich ihn für sein Verhalten irgendwann nicht mehr ernst nehmen konnte.
Das erste Mal, als ich bei ihm zu Hause war, habe ich ihm in seinem Bad eine Glatze rasiert. Er hat mich darum gebeten. Anscheinend, weil ihm seine wenigen Zotteln einfach nur noch peinlich waren. Das Glattzurasieren war mir sehr befremdlich. Seine Wohnung fand ich auf den ersten Blick ziemlich cool, sehr clean, tolle Möbel. Auf den zweiten Blick war das einfach nur eine versiffte Absteige, bei der ich mir mächtig was eingefangen habe und ich glaube er selbst sogar auch.
Die Dusche war eine Katastrophe. Der Duschkopf war schwarz (!) vor Schimmel, die Armaturen komplett mit Kalk beschichtet. Hier wurde monatelang nicht sauber gemacht. Einmal habe ich mich bei ihm geduscht und ich glaube anschließend sind mehrere ungünstige Faktoren zusammengekommen. Ich hatte mich recht frisch rasiert, das verursacht ja auch immer kleine offene Wunden. Nachdem er bei mir untenrum - wie alle Jungs - gleich beim ersten Mal rumgemacht hat und ich mich am nächsten Morgen bei ihm geduscht hatte, bekam ich eine wirklich ernstzunehmende Infektion!  Ich war schockiert!!! Der Typ hat mich also beim Lecken mit irgendwas untenrum angesteckt, gepaart mit der frisch rasierten Haut und der abgefuckten Dusche, war mein Immunsystem einfach überfordert und dann ist da unten bei mir was ausgebrochen. 
Es hat eine ganze Weile gedauert, bis die Infektion weg war. Das Lustige ist, der Hypochonder hat sich auch mit was angesteckt. Er meinte es wäre ein Pilz. Kein Wunder bei der Dusche. Das muss aber ganz schön schlimm gewesen sein, ich durfte ihm nicht mehr die Unterhose ausziehen. Einmal habe ich sie ihm ausversehen ein bisschen runtergezogen und was ich da gesehen habe, hat mich echt schockiert. Ich wollte mir gleich instinktiv die Hände waschen. Der ganze Po, also die kompletten Pobacken waren voller roter Pusteln. Der hatte wirklich was Schlimmes! Na ja, so gab es auch keinen Sex mehr, Gott sei Dank!
Wir hatten übrigens nur einmal Sex in meinem Bett innerhalb der ersten zwei Wochen. Danach wurde das wegen unserer beiden Unpässlichkeiten nichts mehr. Ich kann mich auch gar nicht mehr erinnern, ob der Sex gut oder schlecht war, in dem Fall wohl mittelmäßig. Da der Hypochonder aber ein Fußfetischist war, war es auch nicht so schlimm, dass es keinen Sex gab. Es gab ja meine Füße. Das Ding mit den Füssen war mir auch echt neu! Ich musste einfach nur mit meinen nackten Füssen an seinem Schwanz massieren und zack! ist er gekommen. Irgendwie eine saubere und einfache Sache. Wenn man dann mal jahrelang zusammen ist und keinen Bock mehr auf Sex hat, zieht man sich einfach die Socken aus, spielt ihm am Schwanz rum und die Sache ist durch. Da muss man ihm nicht mal mehr einen blasen. Eigentlich eine feine Sache! Er hat mir auch dauernd die Füße massiert, auch ein toller Nebeneffekt, wenn einer auf Füße steht.
Als ich kurz nach unserem Kennenlernen bei ihm war, wir in seinem Bett lagen und ich eigentlich mit ihm Sex haben wollte - hätten wir mal, dann hätten wir wenigstens zweimal Sex gehabt - meinte er, nein, das möchte er nicht. Er möchte gern vorher zu seinem Hausarzt fahren und einen HIV Test machen, damit wir dann ohne Kondom Sex haben konnten. Das hat mich schon ziemlich beeindruckt. Heute weiß ich, dass er das aus Eigennutz gemacht hat, ein Hypochonder eben, denn von mir hat er keinen Test verlangt. Er ist dann tatsächlich am nächsten Morgen zu seinem Hausarzt gefahren, der ist auch früher mein Hausarzt gewesen und heute noch der Hausarzt meiner Tante – Zufälle gibts - und hat also einen Test machen lassen. Der war negativ und so konnten wir dann ohne Kondom rummachen, aber eben nur einmal.
Eines Abends saßen wir mal wieder auf meinem Sofa gegenüber, haben geredet, er hat mir die Füße massiert, Sex gab es ja keinen, da wir beide ja unpässlich waren. Und dann, plötzlich, wie aus dem Nichts, wie von einer Tarantel gestochen, schreckte der Hypochonder hoch! Völlig fassungslos guckte er mit einem leeren Blick durch mich durch. Seine rechte Hand an meinem Fuß und die linke auf seiner Brust: „Mein Sternum, mein Sternum!“ keifte er in mittelmäßiger aber dennoch durchdringender Lautstärke zu mir rüber. Ich wusste überhaupt nicht was los war. Sternum? Sterne? Wo? „Mein Sternum fühlt sich so komisch an, so kenne ich das gar nicht!“ Dann nahm er sein Handy und fing an zu Googlen. Ich auch, denn ich wollte wissen, was ein Sternum ist. Bei Wikipedia steht: „Das Brustbein oder lateinisch Sternum ist ein platter, schwertförmiger Knochen in der vorderen Mitte des Brustkorbs, an dem die Rippen bzw. deren knorpelige Verlängerungen ansetzen. Das Brustbein des Mannes ist dabei schlanker als das der Frau.“
Ok, nun wusste ich zumindest erstmal, worum es dem Hypochonder geht und warum er kurz vor einem Kollaps stand. Offensichtlich hatte sich sein Sternum durch was auch immer urplötzlich verändert. Völlig bestürzt und verängstigt verabschiedete er sich nach Hause und kündigte an, dass er gleich morgen früh zu seinem Hausarzt fahren würde. Irgendwie tat er mir leid. Er war wirklich außerordentlich besorgt um sich.
Was nun aus dem Sternum geworden ist, weiß ich nicht, denn am nächsten Tag war schon wieder eine andere Befindlichkeit am Start. Jetzt konnte er nichts mehr essen, weil er es mit dem Magen hatte. Ein paar Tage später tumorartige Kopfschmerzen, anschließend Herzstolpern und eine mögliche Thrombose und dann waren ja noch diese Pusteln am Po aber da wusste er ja nicht, dass ich Bescheid wusste. Das waren wirklich alles Abturner für mich, total unsexy. Ich glaube er hatte wirklich ein echtes Problem.
Als wir mal auf einer Party waren, bekam er einen Anruf von seiner Tante. Anschließend meinte er, sein Onkel sei im UKB auf der ITS mit einem HI und Kollaps. Ich hab null kapiert. Kein Witz, das waren seine Worte. Er ist dann ins Krankenhaus gefahren und von da an haben wir uns dann gar nicht mehr gesehen. Das war auch ein komisches Ende.
Später bin ich dann nochmal einer gemeinsamen Bekannten begegnet. Sie hat mich gefragt, ob sich der Hypochonder und ich noch treffen. Als ich verneinte, meinte sie ganz betroffen, der arme hätte in der letzten Zeit so viel durchgemacht, ob ich das denn nicht wüsste? Er hat wirklich gelitten, hat Magenprobleme gehabt, ist deshalb nicht zum Arzt gegangen und nun steht es schlimm um ihn. Er hat wohl eine chronische Magenschleimhautentzündung. Ich hab natürlich meine Anteilnahme ausgedrückt, allerdings auch die Frage gestellt, wie er sich denn so schnell ändern konnte. Als wir noch regelmäßig Kontakt hatten, ist er öfter zu seinem Hausarzt gefahren, als sich mit mir zu treffen. Und so lange ist das ja noch gar nicht her. Da hat mich die gemeinsame Bekannte nur komisch angeschaut und abgewinkt. Ich wäre ja so unsensibel, das hätte er auch von mir behauptet. Tja, da wusste ich dann nix mehr zu sagen.
Eigentlich ist der Hypochonder gar kein Hypochonder, sondern hat anscheinend eine somatische Störung. So nennt man das, wenn sich Menschen Krankheiten einbilden und von einem Arzt zum nächsten rennen. Ich habe das kürzlich mal gelesen. Ein Hypochonder bildet sich stattdessen nur eine bestimmte Krankheit ein und rennt deswegen von einem Arzt zum anderen. Als Leihe verwendet man dann eben den Begriff Hypochonder, warum weiß ich nicht.
Das ist ähnlich wie mit der Schizophrenie. Diese Bezeichnung wird ja irrtümlicherweise auch schnell mal verwendet. Wenn jemand anscheinend zweierlei Persönlichkeiten hat, wird er gleich als Schizophren bezeichnet, dabei hätte er eine Persönlichkeitsstörung. Schizophren ist man, wenn man Wahnvorstellungen hat. Habe ich auch kürzlich gelesen.





Kommentare

  1. … das mit den Infektionen kenne ich, ein leidliches Thema. Und die Jungs verstehen das immer nicht.

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  2. Ich könnte mich wegschmeißen. Dachte, der Kranken Azubi ist schon der Knaller aber der Hypochonder ist noch mal eins oben drauf!!!!!!!

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